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Sicher zu Hause angekommen

382 Tage im Haus Atemzeit e. V. – eine bewegende Zeit

Ich bin Nadine und habe 382 Tage mit meinen Zwillingen Lio und Emilia in Atemzeit gelebt – eine bewegende Zeit. Einige Monate, das hatte ich erwartet, ein ganzes Jahr, das hatte ich nicht erwartet und doch ist die Zeit wie im Flug vergangen.

Als meine Zwillinge Lio und Emilia 18 Wochen zu früh zur Welt kamen, stand meine Welt Kopf. Denn ich war alleinerziehend und für alle Entscheidungen verantwortlich, allein für das Wohl meiner beiden Kinder, diejenige, die immer entscheiden musste, wer in diesem Moment die Mama mehr brauchte und wer auf meine Brust kam. Wirklich frei fühlte ich mich dabei nicht, die Zeit hatte ich immer im Blick, denn es wartete ja noch ein Kind auf mich. Ich war die einzige Stütze und feste Bezugsperson für Lio & Emilia und alleine in dieser Zeit.

Mein Leben stand auf dem Kopf

Lio und Emilia wurden im April 2022 geboren, mitten in der Coronapandemie. Meine Schwangerschaft verlief völlig problemlos, bis zu diesem Tag. Isoliert von der Außenwelt wurde die Intensivstation zu meinem Zuhause, in dem ich versuchte, meinen Kindern gerecht zu werden. Mit meiner Familie, meinen Eltern und Geschwistern, konnte ich ein halbes Jahr lang fast nur telefonisch Kontakt halten, um das Nötigste zu regeln. Ein halbes Jahr voller Angst um meine Kinder. Emilia hatte den leichteren Start ins Leben, sie war die Größere und Schwerere, hatte weniger mit den Komplikationen dieser extremen Frühgeburt zu kämpfen. Lio hingegen kämpfte mehr als einmal um sein Leben. Einige Male stand ich vor dem Moment, in dem mir die Ärzte sagten, dass es nicht sicher ist, ob Lio diese Operation oder diese Nacht überleben wird. Viele Nächte und Tage verbrachte ich alleine am Inkubator meiner Kinder, um sie zu halten und ihnen die Kraft zu geben weiter um ihr Leben zu kämpfen. Eine Zeit, die viel in mir ausgelöst und auch bewirkt hat, ein Leben in ständiger Angst. Besonders schwer war es für mich, als es Emilia so gut ging, dass sie auf eine andere Station verlegt wurde. Auf der einen Seite freute ich mich über diese Entwicklung, auf der anderen Seite wurde der Spagat, der von mir erwartet wurde, noch größer. Richtige Freude kam bei mir nicht auf. Lio bangte weiter um sein Leben und Emilia brauchte noch mehr Förderung und Unterstützung, um sich weiter entwickeln zu können. Ich war völlig zerrissen zwischen Freude, Angst und Trauer, alles in meiner Welt drehte sich um meine Kinder, ich funktionierte – fast hilflos in meiner Gefühlswelt und überfordert mit der Situation. Ich bekam viele Ratschläge, wie ich am besten alles schaffen könnte, aber im Tun blieb ich allein. Vor allem als Emilia nach Hause entlassen wurde und Lio 50 km entfernt auf der Intensivstation lag. Täglich pendelte ich, weder ich noch Emilia kamen wirklich zu Hause an. In dieser Zeit hat mich meine Mutter, Emilias Oma, bei der Pflege von Emilia und im Haushalt unterstützt. Wir waren zwei Wochen zu Hause. Emilia brauchte Sauerstoff, einen Monitor und viel Atemtherapie. Neben den täglichen Bewegungsübungen, die sie aufgrund ihrer Frühgeburtlichkeit brauchte, musste bei jeder Mahlzeit das Trinken und Saugen geübt werden – Emilia fiel das immer schwerer und sie lehnte ihre Flasche immer mehr ab. Und sie war es, die ich mit ihrer Oma zurücklassen musste, um Lio zu besuchen. Ich war nirgendwo wirklich, nur mit meinem Körper – mein Kopf und vor allem mein Herz waren immer bei dem Kind, das übrig geblieben war.

Endlich war es soweit, Emilia konnte ins Haus Atemzeit e.V.

Emilia und ich konnten endlich ins Haus Atemzeit verlegt werden, worüber ich mich sehr freute, denn auch Lio sollte in einigen Wochen dorthin verlegt werden. Ich pendelte weiterhin jeden Tag zur Intensivstation, aber ich fühlte mich sicher. Denn ohne dass ich aktiv werden musste, bekam Emilia die medizinische Versorgung, die sie brauchte, die notwendigen Therapien und vor allem die dringend benötigte Förderung. Aber nicht nur das, wir wurden herzlich aufgenommen, in die Gemeinschaft von Atemzeit e.V. und ich hatte das Gefühl, mich freier bewegen zu können, was ich auch tat.

Nach einer kurzen Zeit des Ankommens war dies umso wichtiger, da sich der Gesundheitszustand von Lio, der eigentlich auf dem Weg der Besserung war, deutlich verschlechterte. Angst und Bangen um sein Leben kehrten zurück. Ich hatte eigentlich keine Kraft mehr, alte Erinnerungen kamen in mir hoch – ich musste durchhalten und gab Lio all meine Reserven. Wieder kamen die Ärzte zu mir und machten mir wenig Hoffnung, Lio kämpfte wie ein Löwe und er schaffte es auch diesmal. Für mich war es einfacher, zwar konnte ich auch hier nur eingeschränkt bei Emilia sein, aber ich wusste sie in einer häuslichen Umgebung liebevoll versorgt, gefördert und auch umarmt. Ihre Oma, konnte auch als Oma an ihrer Seite sein – nicht als Verantwortliche. Das hat mir wieder Kraft und Sicherheit gegeben.

Von Tag zu Tag wuchsen wir drei mehr zusammen!

Der 8. Dezember 2022 war ein großer Tag für mich, Lio hatte sich soweit stabilisiert, dass er nach Atemzeit verlegt werden konnte. Nach 7 ½ Monaten waren wir zum ersten Mal als Familie außerhalb der Intensivstation zusammen. Durch die Einschränkung der Lungenfunktion war er auf eine Beatmung angewiesen, auch sein Darm funktionierte nicht richtig und durch die immer wiederkehrenden Krisen auf der Intensivstation reagierte er auf kleinste Veränderungen sehr gestresst. Er hatte sich aber gut eingelebt und wirkte immer ruhiger. Durch das fortgeschrittene Krankheitsbild gab es in den ersten Wochen immer wieder Rückschläge, ob es die Atmung war oder der Darm, der nicht stabil funktionierte, ein ständiges Hin und Her. Es gab viele gute, aber auch schlechte Tage, an denen man immer wieder abwägen musste, ob Lio ins Krankenhaus muss oder ob die eingeleiteten Maßnahmen helfen. Bereits im Dezember musste Lio wieder in die Klinik, seine Ernährungssonde für den Dünndarm hatte sich gelöst und musste durch die Bauchdecke wieder erneuert werden. Eigentlich ein kleiner Eingriff, durch seine eingeschränkte Lungenfunktion machte ich mir jedoch große Sorgen. Das ständige Hin und Her hat mich zerrissen, ich sollte recht behalten. Wenige Tage nach der Operation bekam Lio eine Blutvergiftung und wurde wieder auf der Intensivstation behandelt, aber mein Kämpfer schaffte es wieder.

Und so waren wir zu Beginn des neuen Jahres wieder zu dritt. Alle drei wuchsen wir von Tag zu Tag mehr zusammen. Lio’s Gesundheitszustand stabilisierte sich und Emilia, die immer sehr angespannt und gestresst wirkte, schien mehr Vertrauen zu fassen. Ich merkte auch, dass sie sich entwickelten, Lios & Emilias unterschiedliche Persönlichkeiten wurden immer deutlicher. Aber in mir blieb die Skepsis, ich beobachtete alles kritisch, freute mich mal mehr und mal weniger. Meine Ängste und Sorgen lähmten mich. Ich wartete förmlich darauf, dass wieder etwas passierte, egal wie viel Mut man mir zuredete. Ich nahm zwar die Entwicklung von Lio & Emilia und auch die deutlichen Verbesserungen wahr, aber ich hatte kein Vertrauen. Vor den Arztterminen war es immer besonders schlimm, zu oft hörte ich, was alles nicht geht oder besser werden muss, neue Ratschläge folgten und meine gerade aufgebaute neue Welt geriet wieder ins Wanken.

Es war eine Zeit, in der ich viel über mich gelernt habe!

Ich konnte mich immer wieder aus meinen Tiefs herausziehen und habe gelernt, an mich und auch an meine Kinder zu glauben. An meiner Seite war das Team vom Haus Atemzeit, das meine Kinder gefördert hat und sie sich dadurch weiterentwickeln konnten. Ein Team, das sich auch mit mir auseinandergesetzt hat und mich auf eine andere Art und Weise herausgefordert hat, das Erlebte zu verarbeiten. Mir nicht nur Ratschläge gab, sondern auch in den Momenten, in denen ich so sehr wollte aber einfach nicht konnte, gemacht hat.

Heute bin ich gelassen mit mir und meinen Kindern in meinem Wohnzimmer. Ich fühle mich sicher und geerdet, habe gelernt mit allem umzugehen und auch mit den gesundheitlichen Herausforderungen meiner Kinder umzugehen. Denn beide brauchen noch viel Unterstützung und Lio ist noch auf Sauerstoff angewiesen.

In einem Jahr Atemzeit ist so viel passiert, das hätte ich nie erwartet. Bei seiner Entlassung war Lio komplett von der Beatmung entwöhnt, auch sein Sauerstoffbedarf war deutlich reduziert – und er hat diesen niedrigen Bedarf auch während einer Bronchitis beibehalten. Er wird über den Magen ernährt und nicht mehr über den Dünndarm. Er dreht sich selbstständig, krabbelt zu seinem Spielzeug und freut sich über alles Neue. Emilia macht ihm viel vor und er versucht, ihr zu folgen. Denn aus dem gestressten Baby, das völlig angespannt war und oft wenig Bewegung zeigte, ist ein willensstarkes, neugieriges und offenes Kleinkind geworden, das sehr an seiner Mama hängt und sie oft gar nicht mehr loslassen will. Das an der Hand läuft, lautiert und gerade wieder Spaß am Essen findet. Nur die Magensonde ist aus der Frühgeburt geblieben. Ich kann nur Danke sagen, für die so dringend benötigte Unterstützung, die wir alle drei erfahren durften!